Nach jahrelanger Abstinez am Markt, schickt LEW heuer wieder eine neue Konstruktion ins Rennen um gegen Lightweight Obermayer und Konsorten an der Spitze der Laufradzunft anzutreten. Gewichtstechnisch spielen sie momentan in der absolut obersten Liga bei einem garantierten Satzgewicht von unter 880 Gramm (für die Shimano-Version, die Campagnolo Version ist 40 Gramm schwerer). Das geteste Set wurde eigenes von Lew hand-selektiert und bringt es auf 870 Gramm, die sich auf ca. 362 Gramm vorne und knapp 509 Gramm hinten verteilen.
Zubehör:
Die Laufräder stecken jeweils in gut gepolsterten, qualitativ hochwertigen Laufradtaschen, die ihrerseits wiederum jeweils einzeln in den eigentlichen Kartonagen verpackt sind. Etwaige Transportschäden sind somit weitesgehend ausgeschlossen. Dem Radsatz liegt ein Paar Schrumpfschläuche, die Ventilklappern eliminieren sollen, als auch ein Kassettendistanzring bei, jedoch – für den deutschen Markt absolut untypisch – kein Handbuch (in gedruckter Form). Hier sollte der Hersteller nachbessern, wenngleich auf ihrer Website eine Bedienungsanleitung zum Download bereit steht, ausschießlich in englischer Sprache versteht sich, was ein wenig verwundern mag, da Lew insbesonderes Interesse am deutschen Markt hegt.
Optischer Eindruck, erste Auffälligkeiten:
Die Verarbeitungsqualität ist durchaus auf hohem Niveau, jedoch wie man es von einem weitgehend handgemachten Produkt nicht anders erwarten darf keineswegs perfekt. Die Oberflächenbeschaffenheit ist zwar sehr glatt und frei von Lunkern, jedoch erkennt man – nicht zuletzt auch wegen des Fehlens eines Kometik-Layers – durchaus die Stellen an denen verschiedene Gewebe-Lagen aufeinandertreffen. In dieser Hinsicht sind die Laufräder also schon durchaus vergleichbar mit der deutschen Konkurrenz vom Bodensee. Der wohl augenscheinlichste und konstruktionstechnisch bedeutendste Unterschied betrifft die Speichen, die entgegen derer der Lightweights einzeln austauschbar und ersetzbar sind. Ihr Finish ist absolut tadellos, jedoch kann man aufgrund der Konstruktion an den Übergangen zur Felge im Felgenloch noch Überbleibsel vom Kleber entdecken. Zusammenfassend ist jedenfalls zu sagen, dass trotz der hohen Verarbeitungsqualität, die Laufräder ihren Ursprung nicht leugnen können. Eine Tatsache, die einigen Käufern übel aufstößen könnte, wenn man sich den Preis vor Augen führt. Der Kundenservice ist jedoch auf höchstem Niveau (dazu später mehr). Man darf sich hierbei jedoch keineswegs vom romatischen Mythos der Hinterhofbackstube täuschen lassen, bei Lew in Las Vegas arbeiten tatsächlich über 50 Mitarbeiter und Ingenieure in einer eher klinischen Atmosphäre – nicht zuletzt da hier auch die Aufklärungsdronen für das US-Militär enstehen. Der Kassettenkörper weist extreme Ausfräsungen auf, um auch hier das letzte bisschen Gewicht zu sparen. Die 3 Sperrklinken laufen ab Werk trocken und sind somit für eine adequate Soundkulisse verantwortlich.
Sowohl Vorder- als auch Hinterrad haben auf der Speiche genau gegenüber des Ventilloches ein Gegengewicht montiert, um das Rad aus zu wuchten – was bei dem geringen Gewicht nicht gerade unvorteilhaft ist. Den Gegengewichten wird zudem gleichzeitig angedacht als Speichenmagnet zu fungieren, was jedoch bei mir trotz der freien Beweglichkeit auf der Speiche aufgrund eines zu großen Abstandes zwischen Speichen und Gabelsensor, nicht zuletzt aufgrund des relativ flachen Speichenwinkels als auch ganz einfach unzureichenden magnetischen Wirkung des Gebers nicht wirklich funktionieren wollte. Abhilfe schaffte hier ein auf die Felge geklebter Tune Pulsar Magnet.
Einer der Hauptaugenmerke und akribischten Bestreben von Lew in der Entwickling lag darin gerade hinsichtlich des Rundlaufs in Sachen Höhen- und Seitenschlag eine extreme Masshaltigkeit zu erreichen und zu garantieren. Während dabei die maximal tolerierten Abweichungen im Extremfall keineswegs außergewöhnlich zu sein scheinen, so können zumindest die vorliegenden Laufräder in dieser Hinsicht mehr als überzeugen. Der Rundlauf ist auf höchstem Niveau und erreicht das Niveau gut eingespeichter handgemachter Laufräder.
Handhabung:
Schlauchreifen-typisch (eine Drahtreifenversion wird gegen Ende des Jahres verfügbar sein) ist vor der ersten Ausfahrt erstmal Reifenaufkleben angesagt. Auch hierzu hat sich Lew einige Gedanken gemacht und einen so genannten Tri-Lock Channel, eine Art Ausparung in der Mitte des Felgenbetts, implementiert, der aus sieben verschiedenen komplexen Oberflächen besteht, und dafür sorgen soll, dass Unregelmäßigkeiten (handgemachter) Schlauchreifen ausgeglichen werden und somit insbesondere auch bei der Ausrichtung der Reifen helfen sollen. Selbiges scheint auch durchaus gelungen zu sein, denn bisher bin ich mit keiner anderen SR-Felge in Berührung gekommen, die in dieser Hinsicht leichter zu handhaben war (Zipp 280, Corima Medium, Corima Aero, Lightweight Standard, Lightweight Obermayer). Reifenmontage als auch Ausrichtung haben pro Reifen maximal zwei Minuten benötigt und das nicht mal bei besonderer Eile, dafür aber umso erfreulicheren Resultat. Im ersten Moment lag daher die Vermutung nahe, dass die Felgen unter Umstände ein kleines Untermass aufwiesen, was sich jedoch bei Überprüfung als nichtig herausstellte und somit das leichte Handling tatsächlich besagtem Tri-Lock Channel zu zu schreiben ist. Ob der Kanal jedoch einen negativen Einfluss auf die Reifen-Felgen-Verbindung oder Haftung hat, bedarf unter Umständen einer gesonderten Überlegung. Soweit haben sich jedoch keinerlei Probleme oder Auffälligkeiten in dieser Hinsicht eingestellt.
Weiterhin erwähnenswert sind die Ventillöcher, die quasi schon zu masshaltig waren und sowohl Continental als auch Topeak Ventilverlängerungen nur unter größerem Kraftaufwand den Zugang gewähren wollten. Ich habe sie deswegen vor der Montage leicht mit einer Rundfeile nachbearbeitet.
Erste Beobachtungen: (Lager, Bremsverhalten)
Montiert man die Laufräder dann in die Ausfallenden seines Rades, fällt direkt einmal auf, dass sowohl das Vorder- als auch das Hinterrad ein gewisses Mass an Spiel aufweisen. Das ist anfänglich durchaus gewöhnungsbedürftigt, jedoch konstruktionsbedingt so von Lew gewollt und speziell auch im Handbuch vermerkt. Womit wir auch direkt bei der ersten Eigenheit der Laufräder wären: den kompatibelen Schnellspannern – laut Hersteller derzeit deren gerade mal drei Modelle. Die Schnellspanner sichern dabei nicht nur die Laufräder in den Ausfallenden, sondern spannen auch in gewissen Masse die Lager bzw. das Lagerspiel vor. Die Vorgabe dabei scheinen nicht unbedingt besonders hohe Klemmkräfte oder eine hohe Steifigkeit zu sein, sondern anscheinend viel mehr genau die richtigen Klemmkräfte aufzubauen. Durch zu hohe Klemmkräfte, insbesondere am Hinterrad, können z.B. die Freilauflager leicht verkanten und somit verklemmen, was zwar nicht zwangsläufig gefährlich sein muss, jedoch den weitesgehenden Ausfall der eigentlichen Freilauffunktion zur Folge haben kann – also mehr als ärgerlich. Mir sind bei Tests mit nicht zertifizierten Schnellspannern dabei zwei Freilauflager kaputt gegangen, wobei mir Lew jedoch umgehend ein „spare parts replacement kit“, eine Art Wartungsset bestehend aus zwei Keramik-Hybridlagern, fünf Axialdruck-Unterlegscheiben und drei Sperrklinken und seperat für $100 erhältlich sein wird, als auch einen Satz USE Spin Stix Titan Schnellspanner zugeschickt hat. Letztere liegen mit 55g für das Paar durchaus auf konkurenzfähigen Niveau in Sachen Leichtbau, sind jedoch aufgrund ihrer Handhabung ähnlich einer Flügelmutter dennoch als Kompromiss an zu sehen. So war anfänglich auch erst einmal Skepsis angesagt, da sie im Stand auch nicht wirklich eine signifikante Besserung in Sachen Lagerspiel gebracht zu haben schienen. Während des Fahrens werden die Unterschiede jedoch durchaus offensichtlicher. Ich werde in Zukunft jedoch zusammen mit Lew an der Liste empfohlener Schnellspanner weiterarbeiten, um zumindest die üblichen Verdächtigen ab zu decken.
Bedingt durch die relativ frei drehenden und durchaus hochwertigen Ceramic-Hybridlagern laufen die Laufräder jedoch extrem frei, schnell und lange – und das sowohl in der Hand als auch unter Last. Die Lager laufen dabei trocken bzw. nur mit einem leichten Ölfilm und sind nach innen hin als open shield Lager ausgeführt, um die Losbrechkräfte zu minimieren. Der Kompromiss oder Nachteil der gewählten Lagerkonstruktion ist jedoch, dass sich die Lager während der Fahrt mitunter durch leichtes – unregelmäßiges, jedoch deutlich zu hörendes – Klackern bemerkbar machen, insbesondere bei Bodenunebenheiten, seien es Schlaglöcher oder Kopfsteinpflasterpassagen. Besonders deutlich wird dies bei Vorderradbremsungen, da hier leicht rhythmische Vibrationen auftreten, als wenn alle halbe Umdrehung etwas schleifen würde. Nichts dass man am Lenker oder in der Radkontrolle bemerken würde (anders als zum Beispiel bei einem Satz Corima-Felgen, die ich zu einem früheren Zeitpunkt einmal besessen habe), jedoch mit deutlicher akustischer Untermalung. Wobei wir beim Bremsverhalten wären: die Lew Felgen benötigen ausdrücklich keine speziellen Bremsgummis und man kann somit jegliche (Aluminium-Felgen kompatible) Gummis benutzen. Meine Wahl traf aufgrund vergangener Erfahrungen auf die schwarzen Swissstop Aluminium-Beläge. Das Bremsverhalten ist dabei erstaunlich gut – nicht weltbewegend aber zumindest etwa auf dem Niveau gewöhnlicher Alu-Felgen. Ein Bremsquitschen war dabei zu keinem Zeitpunkt zu vernehmen. Bei harten Bremsmanövern erhitzen sich die Felgen Bremssystem-bedingt, jedoch aufgrund der hoch-wärmeleitenden Bremsoberfläche anscheinend nicht ganz im gleichen Ausmaß wie bei vergleichbaren Konkurrenzprodukten. Der Brembelagverschleisss scheint jedoch dennoch Carbon-typisch relativ hoch zu sein.
Steifigkeit:
Die Laufräder (in der non-Clydesdale Version) kommen mit einer Fahrergewichtsbeschränkung von 85kg resp. 185Ibs. Sie spielen jedoch entgegen anfänglicher Skepsis aufgrund des geringen Gewichts definitiv in einer anderen Liga als andere konventionell eingespeichte Laufräder und bewegen sich durchaus auf dem Niveau von Lightweights. Ich hätte mir jedenfalls zu keinem Zeitpunkt ein Mehr an Steifigkeit gewünscht. Sie halten souverän ihre Linie in Hochgeschwindigkeitskurven als auch unter Last in technischen Abschnitten. Während sie eigentlich zum Bergauffahren prädestiniert scheinen – und hier auch aufgrund der geringen (Schwung-)Masse durchaus zu überzeugen wissen, auf dem Niveau von Lightweights Obermayer – so gefallen sie mir fast umso besser auf Abfahrten, da sie hier für meinen Geschmack (und Gewicht [60kg]) ein beinahe ideales Verhältnis aus Steifigkeit und Nachgiebigkeit besitzen. Sie neigen jedenfalls nicht zum Flattern oder fühlten sich aufgrund der geringen stabilisierenden Kreiselkräfte unangenehm an. Genauso wenig schleifen sie im Wiegetritt an den Bremsbelägen – wenngleich ich meine Bremsgummis mit einem relativ großen Abstand von 2-3mm zur Felge zu fahren pflege.
Auf flachen Passagen sind die sehr frei drehenden Lager eine wahre Wohltat. Hinzu kommen gute Aerodynamik-Eigenschaften, die jedoch keineswegs überbewertet werden sollten. Es ist ja auch nicht so als wenn ein LRS dieser Kategorie (bei Rennrad-typischen 45km/h) durchweg 1km/h schneller wäre als ein anderer. Die Aerodynamik ist jedoch definitiv besser als bei flachen Kastenfelgen und rangiert etwa auf dem Niveau von Lightweights, also durchaus auf hohem Niveau, jedoch keine Spezialisten wie Zipp 606 oder Xentis. Auf einer 80km/h Abfahrt waren sie jedoch 3-4km/h schneller als ein Satz Neutron. Ein weiteres exklusives Feature, dass Lew in dieser Hinsicht groß bewirbt ist die sogenannte Swirl Generator Lip, quasi eine Abreißkante, die sich am zur Nabe zugewendeten Ende der Felge über den ganzen Umfang und an beiden Felgenseiten erstreckt, aus der Luft- und Raumfahrtforschung stammt und getrennte Luftströme wieder zusammen fügen soll. Dies soll sowohl einen positiven Einfluss auf die Aerodynamik, aber auch die Stabilität des Laufrades haben und insbesondere das Handling bei Seitenwind verbessern. Ich bin in dieser Hinsicht jedoch eher skeptisch und war schon geradezu überrascht wie klein besagte „Lippe“ denn tatsächlich ist: man kann sie gerade man leicht mit dem Fingernagel erahnen. Wenn sie das Feature nicht ausdrücklich erwähnt hätten, wäre es definitiv nicht weiter aufgefallen, nicht zuletzt auch da es eher wie eine zufällige Naht wie von z.B. zwei Felgenhäften erscheint – es also fraglich ist ob nicht bereits andere LRS schon vorher und eher zufällig über ein ähnliches Feature verfügt hatten. Bei Wind verhalten sich die Laufräder jedenfalls relativ gutmütig ohne dabei jedoch das Niveau von LRS mit flachen Felgenprofil zu erreichen, was auch nicht weiter verwundern dürfte. Freihändig fahren war bei fast allen Windverhältnissen mehr oder minder problemlos möglich, jedoch haben kräftigere Windstöße das leichte Vorderrad schon ordentlich aus der Bahn zu blasen vermocht. Besonders gut schien mir jedoch das Verhalten bei Gegenwind zu sein, was wohl dem relativ geringen Speichenwinkel als auch dem aerodynamischen Profil zu zu rechnen ist.
Erstes persönliches Fazit:
Während die Pro VT-1 mit interessanten Detaillösungen aufzuwarten wissen und nach anfänglichen Problemen auch durchaus zu überzeugen wissen, lassen sie im Vergleich zur Konkurrenz doch ein wenig einen Aha-Effekt vermissen. Sie kommen zwar in allen Bereichen auf ein vergleichbares Niveau, können sich jedoch nirgends merklich absetzen, fallen anderseits auch nirgendwie deutlich ab. Insofern sind die Fahreigenscheiften und Charakteristiken durchaus sehr vergleichbar mit Lightweights Obermayer Laufradsatz. Hinsichtlich der Eigenheiten sei vielleicht noch zu erwähnen, dass Lew die Laufräder keineswegs als „rundum-sorglos“ Paket einstuft und für diese Kategorie ihre Systemlaufräder um ihre Pro VT-1 Felgen in Kombination mit Tune oder m5 Naben und Pillar oder Sapim Speichen empfiehlt, während die Pro VT-1 Laufräder jedoch mitunter durchaus „generelle Zweiradmechaniker-Wartungen“ benötigen. Zu erwähnen wäre hierbei jedoch auch noch der relativ einfache Aufbau und die leicht von der Hand gehende Demontage als auch Zusammenbau sowohl von Vorder- als auch Hinterrad – durchaus interessant für Bastler, jedoch unter Umständen zuviel des Guten für den Durchschnittskunden.
Interview mit Paul LEW:
Testbericht für Light-Bikes: Nils Wiedemann