Nordischer Rahmenbau – deutsche Handwerkskunst
Wie wir letzten Sonntag bereits berichteten gab es auf dem Leichtbautreffen von Bike Tuning Parts unter anderem einen 58,8g leichten Carbonvorbau und einen Carbonrahmen aus der gleichen „Schmiede“ zu sehen. Hinter diesen Produkten stehen Andreas Hanke und Oliver Grest aus Bückeburg in Niedersachsen. Andreas ist Diplom-Maschinenbauingenieur im Sondermaschinenbau bei Continental in Hannover, Oliver ist gelernter Maschinenbaumechaniker und studiert zur Zeit Chemie und Biologie auf Lehramt. Gemeinsam haben beide vor etwa fünf Jahren entschlossen einen Fahrradrahmen aus Carbon zu bauen.
Ursprünglich wollten sie die Rahmen nur für den Eigenbedarf produzieren. Einerseits verschlang dieses Projekt sehr viel Zeit, Geld und Schweiß, andererseits waren die Ergebnisse dementsprechend hochwertig. Daher entschlossen sich Andreas und Oliver dazu ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen. Auf der Suche nach einem passenden Firmenname für ihre Produkte kam eigentlich nur Nordischer Rahmenbau in Frage, denn die Rahmen sind wirklich zu 100% im Norden Deutschlands produziert. „Vom Roving bis zum fertigen Rahmen“ schwärmt Oliver vor sich hin. Aber genug zu Oliver, Andreas und ihren Träumen.
Hier geht es um die Ergebnisse. Die Rahmen: Alle Rahmen werden in Tube to Tube Bauweise nach Maß aus den selbst hergestellten Rohren produziert. Unterrohr und Oberrohr sind gewickelte Rohre mit internen Zusatzlagen, variabler Wickelwinkel. Alle Rohre sind FEM-optimiert und dementsprechend belastungsgerecht ausgelegt. Der Außendurchmesser des Unterrohrs beträgt ca. 53mm, beim Oberrohr sind es ca. 40mm. Das Sitzrohr ist asymmetrisch. Nach links ist es zu Gunsten der Seitensteifigkeit im Tretlagerbereich breiter. Auf der rechten Seite bedingt durch den Umwerfer schmaler. Im Gegensatz zu Ober und Unterrohr ist das Sitzrohr im Querschnitt nahezu rechteckig, da das Sitzrohr nur Biegebelastungen aufnehmen muss. Das Sitzrohr wird in einer von uns Oliver und Andreas gefrästen Form gefertigt und nimmt Sattelstützen mit einem Durchmesser von 31.6mm auf.
Alle Rohre haben eine sicherheitsrelevante Stützlage, die ein Ausknicken der Rohre der extremen Belastungen (Sturz, Unfall, schweres „Gelände“) verhindern soll. Allein diese Stützlage macht etwa 10-15% des Rahmengewichtes aus. Es werden ausschließlich HM- und HTS-Fasern verwendet, auch wenn UHM-Fasern laut Oliver bessere Messwerte erzielen würden.
Bisher wurden Steifigkeitswerte im Institut von Dirk Zedler gemessen. Diese lagen im Steuerrohr bei 87Nm/° und im Tretlagerbereich bei 67Nm/mm. Da die Rahmen auf dem hauseigenen Prüfstand wesentlich bessere Werte erzielten, sollen diese nochmals bei der Uni Kassel überprüft werden. Dass die Messwerte aus dem Institut von Dirk Zedler extrem niedrig sind, kam mir nun bereits von einigen Herstellern zu Ohren, dementsprechend warten wir hier noch die nächste Prüfung ab.
Bei allen Rahmen kommen nach hinten offene Ausfallenden aus Carbon zum Einsatz, lediglich das austauschbare Schaltauge ist aus Aluminium. Die Zuganschläge sind ebenfalls aus Carbon. Das konische Steuerrohr nimmt einen integrierten Steuersatz auf. Dieser besteht unten aus einem zweireihigen Schrägkugellager und oben aus zwei einreihigen Rillenkugellagern, welche beide mit Zusatzdichtungen versehen sind. Beim ebenfalls integrierten Innenlager kommen zwei einreihige Rillenkugellager zum Einsatz, welche auch über Zusatzdichtungen verfügen. Sämtliche Lager sind Normlager, die in gut sortierten Autozubehörgeschäften und im Internet leicht zu bekommen sind. Klare Maßstäbe setzt der Innenlagerstandard: passend für 30mm Achsen – THM Clavicula. Andere mit Adapter.
Der auf dem Leichtbautreffen gezeigte Rennradrahmen wog lackiert 850g. Der relativ stark gesloopte Rahmen hatte ein 580mm langes Oberrohr und ein 500mm kurzes Sitzrohr. Rechnerisch entspricht dies einer klassischen Rahmenhöhe von ca. 58cm!
„Es ist alles denkbar: andere Rohrdimensionen, eine integrierte Sattelstütze, andere Anschlussmaße für Gabel und Innenlager usw. Zusätzlich können wir Tretlager- und Lenkkopfsteifigkeit unabhängig voneinander auf Kundenwünsche optimieren“, meint Oliver, bevor er auf die Preisfrage eingeht. Für 5000 € gibt es von Oliver und Andreas einen kompletten Maßrahmen inklusive Innenlager, Steuersatz und Beschichtung. Hier kann der Kunde zwischen diversen Lackarten und einer leichten Harzschicht wählen. Ungewöhnlich für einen so kleinen und neuen Hersteller ist die Garantie von erstaunlichen 10 Jahren. Die Aufpreise für Sonderwünsche jeglicher Art bekommt man derzeit per e-Mail, bald auch auf der Homepage der beiden nordischen Rahmenbauer. Der Rahmen, der auf dem BTP Treffen zu sehen war, liegt preislich durch das nicht serienmäßige Sitzrohr bei ca. 6000€. Lieferfähigkeit ist je nach Aufwand ab „vorsichtig gesagten“ 2-3 Monaten für kleine Stückzahlen gegeben.
Vorbau: Der Vorbau ist ebenfalls komplett aus Carbon gefertigt. Dieser wird in Positivbauweise um einen ausschmelzbaren Kern laminiert. Zwei Klemmschrauben am Schaft und eine Klemmschraube am Lenker reichen. Alle drei Schrauben sind M5 Titanschrauben hoher Güte. Die Gewindeeinsätze bestehen aus 7075er Aluminium. „Der Vorbau ist so berechnet, dass eher die Schrauben reißen, als dass die Befestigungsösen Schaden nehmen.“ behautet Oliver überzeugt. Oliver und Andreas legen beim Vorbau Wert auf eine hohe Torsionssteifigkeit, die horizontale und vertikale Biegesteifigkeit ist nebensächlich.
Hier zwei Beispielvorbauten:
1. Länge 110mm, Winkel -8°, Schaftklemmung 1 1/8″, Gewicht 58.8 Gramm, Verdrehsteifigkeit 100Nm/°
2. Baugleicher Vorbau 130mm 0° 79 Gramm 108Nm/°
(zum Vergleich: Syntace F99 in 120mm Länge 6°: 88Nm/°)
Während der zweite Vorbau bereits seit zwei Monaten an Olivers MTB seine Fähigkeiten unter Beweis stellen muss befindet sich der erste Beispielvorbau mittlerweile im Besitz von Günter Mai und wird bald sein Rekordrad schmücken.
Wir hoffen für Andreas und Oliver auf einen erfolgreichen Start in der Radsportbranche. Ob die Teile halten was sie versprechen wird sich bald zeigen. Der erste Light-Bikes Test ist bereits geplant.